Die erdgeschichtliche Stellung und Umwelt des Homo heidelbergensis von Mauer
Presenting person: Prof. Dr. Günther Wagner, MPI - Heidelberger Akademie der Wissenschaften, ArchäometrieTh. 2010-05-20 (16:15-17:45), H6
Vorschlag Prof Zöller.
Jede historische Wissenschaft benötigt ein Zeitgerüst, das überlieferte Ereignisse nach ihrer chronologischen Abfolge ordnet. Erst dadurch lassen sich die Ereignisse untereinander in zeitliche Beziehung setzen und kausale Zusammenhänge erkennen sowie Dauer und Geschwindigkeit von Vorgängen nachvollziehen. Dies gilt insbesondere für die Wissenschaften, die sich mit schriftlosen Zeiträumen befassen, also die geologischen und prähistorischen Disziplinen. Ihre Entwicklung war maßgeblich geprägt von den Fortschritten, durch welche die Altersvorstellungen über vergangene Epochen verbessert werden konnten. Ganz besonders hat die Paläoanthropologie davon profitiert, man könnte sogar treffend sagen, in den letzten 50 Jahren wurde sie durch die rasante Entwicklung der Chronometrie revolutioniert. Das betrifft auch den Homo heidelbergensis aus Mauer.
Otto Schoetensack hatte 1907 die Fundschicht des Homo heidelbergensis in der Sandgrube Grafenrain in Mauer mit gutem geologischem Gespür als verhältnismäßig alt erkannt. Er stufte sie aufgrund der Wirbeltierreste stratigraphisch in eine Warmzeit des älteren Mittelpleistozäns ein, was auch nach heutiger Vorstellung völlig korrekt ist. Neuere Erkenntnisse zu den zahlreichen Kleinsäugerfunden aus Mauer erlauben die Korrelation die Fundschicht mit den marinen Sauerstoffisotopenstufen MIS-13 oder MIS-15, was etwa 500.000 bzw. 600.000 Jahren entspricht. Paläontologische und geomorphologische Untersuchungen ermöglichen die detaillierte Rekonstruktion der Umwelt des Homo heidelbergensis.
Radiometrische Datierungen ergeben numerische Alter, also direkt in Jahresangaben. Bisherige Versuche hatten nur geringen Erfolg, aber neuere methodologische Entwicklungen ließen es viel versprechend erscheinen, diese Frage erneut anzugehen. Dies ist nun in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Paris und Freiberg geschehen, und zwar mit zwei Methoden: kombinierte Elektronen-Spin-Resonanz/U-Reihe (ESR-US) an Säugetierzähnen und Infrarot-Radiofluoreszenz (IR-RF) an Sandkörnern aus der Fundschicht des Homo heidelbergensis. Aufgrund der neuen Datierungen gehört der Mauerer Homo heidelbergensis in die MIS-15 Warmzeit. Er ist damit der erste seiner Art in Europa und hat eine große Bedeutung für die Entwicklung der frühen europäischen Hominiden.
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